Pantoffelwurf auf den Pastor. Anna von Behr

Das Jahr 1528 stellt einen wichtigen Einschnitt in der Walsroder Kirchen- und Klostergeschichte dar: Mit Henning Kelp kam der erste evangelische Pastor in die Heidestadt. Er war 1498 in Lamspringe bei Hildesheim geboren worden. 1527 hatte Ernst I. (1497-1546), Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, nach einem Treffen mit dem Reformator Martin Luther auf der Hochzeit des sächsischen Kurprinzen Johann Friedrich dem Landtag, der sich aus Vertretern von Adel, Klerus und Städten zusammensetzte, das sogenannte Artikelbuch vorgelegt. Es wandte sich gegen „21 katholische Missbräuche“. So sollte die Predigt allein auf dem Evangelium beruhen, die lateinische Sprache aus der Liturgie verdrängt werden und die Marien- und Heiligenverehrung ihr Ende finden. Zwar wurde das Artikelbuch vom Landtag abgelehnt, doch einigte man sich auf die Einführung der „reinen Predigt ohne menschlichen Zusatz“. Diese unklare Formulierung gab Ernst I. das Recht, evangelische Prediger in die Kirchen und Klöster zu entsenden. Dazu wurde das Bischofsrecht dem Fürstenrecht untergeordnet.

Herzog Ernst I., genannt der Bekenner, auf einem Gemälde aus der Werkstatt von Lucas Cranach dem Älteren aus dem 16. Jahrhundert. Er führte 1527 in seinem Fürstentum Lüneburg die Reformation ein (Cranach Digital Archiv, Wikipedia)

Seit 1509 stand dem Kloster Anna von Behr als Priorin vor, deren Geburtsjahr unbekannt ist. Sie „war Papistisch gebohren und hat mit der Milch [gemeint ist mit der Muttermilch, Anm. d. Autors] dass Gifft eingesogen“, wie über 200 Jahre später die Äbtissin Sophie Dorotee von Hinüber (1730-1803) berichtete. So hatte es Henning Kelp schwer bei der Verbreitung der evangelischen Lehre. Sein Enkel Johannes Kelp (1576-1659), der in dritter Generation als Pastor in Walsrode tätig war, schrieb in einer 1600 verfassten Nachricht zur Aufbewahrung im Turmknopf der Kirche, dass er „aber die apostolische Sache unerschrocken lehrte: des Papstes Religion sei vom Dämon erfunden und nütze nicht zur Erlangung der einigen Seligkeit“. Die Standhaftigkeit Kelps führte zu vielen Spannungen mit dem Konvent. So soll Anna von Behr während einer Predigt mit einem Pantoffel nach ihm geworfen haben. Diese Episode lässt sich wohl als Anekdote verstehen, um die feindliche Einstellung der Klosterbewohnerinnen zu verdeutlichen. Auch die spätere Chronistin Sophie Dorotee von Hinüber bescheinigte ihrer Vorgängerin Anna von Behr: „Sie soll sich sehr ungerne zur lutherischen religion bekandt und den ersten evangelischen Prediger, Herrn Kelp, sehr verfolget haben.“

Wappen der Familie von Behr. Sie gehörte seit Mitte des 13. Jahrhunderts zum lüneburgischen Adel. 1470 überließen ihr die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg das Gut Stellichte als Erblehen (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

1529 besuchte Herzog Ernst I. alle Klöster seines Territoriums, um seinen reformatorischen Bestrebungen weiteren Nachdruck zu verleihen. Zuletzt traf er am 22. Juli in Walsrode ein. Dort ließ er den Verwalter der Klostergüter, den Probst Johann Wichmann, dessen Rücktritt und die Abtretung der Probstei an den Herzog unterschreiben. Offiziell begründet wurde dieser eventuell nicht ganz freiwillig vollzogene Schritt mit der „Leibesschwachheit“ des Probstes sowie der „jetzigen beschwerlichen Zeit“. Den Probst ersetzte ein herzoglicher Amtmann, was für den Konvent einen großen Verlust an Unabhängigkeit und Selbständigkeit mit sich brachte. Denn nun war Ernst I. für dessen Versorgung zuständig und verfügte zugleich mit der Kontrolle über das Probsteivermögen über ein wichtiges Druckmittel zur Durchsetzung seiner Ansprüche. Auch das war ein Grund für den Widerstand der Konventualinnen. Mit der Übernahme der Klosterverwaltungen und der Einsetzung lutherischer Prediger war das Fürstentum Lüneburg 1529 im Prinzip vollständig reformiert.

Nur gegen das Festhalten am alten Glauben war schwer anzukommen, zumal die Klöster damals vom öffentlichen Leben abgegrenzte Orte tiefer Frömmigkeit waren. Die fortdauernde Weigerung Anna von Behrs, sich der lutherischen Gottesdienstliturgie anzupassen, führte schließlich dazu, dass Herzog Ernst I. sie 1545 ihres Amtes enthob. Offiziell geschah dies aus Altersgründen. Zur Verpflegung wurde ihr eine kleine Summe zugesprochen; ihr Nachlass sollte dem Kloster gehören. Als sie vier Jahre später starb, wurde ihr wegen ihrer Haltung nicht einmal ein Grabstein gewährt. An sie wurde erst nachträglich auf der Rückseite des Grabsteins der späteren Klostervorsteherin Gisela von Klencke (1543-1615) erinnert, die ihre Großnichte war.

Epitaph (Gedächtnismal) für Domina Gisela von Klencke (1543-1615), auf dessen Rückseite der 1549 verstorbenen Anna von Behr (Klostervorsteherin 1509-1545) gedacht wird, die sich vehement gegen die Einführung der Reformation wehrte. Nach ihr wurde im Sommer 2000 im Baugebiet „Graesbecker Weg“ eine Straße benannt (Heinemann).

Henning Kelp amtierte bis 1575, „da er der welt Haaß, Neid und nachstellung Abgedancket seines Alters 77, Seiner Bediehnung 47 Jahr“, wie es auf einer Erinnerungstafel von 1659 in der Stadtkirche Walsrode an die ersten drei evangelischen Prediger am Ort heißt. Bei seinem Eintritt in den Ruhestand amtierte bereits seit einem Jahr Gisela von Klencke als neue Domina. So wurde die Klostervorsteherin nach der Reformation bezeichnet, während die Priorin nun ihre Stellvertreterin war. Sie konnte dank ihrer Vorgängerin Elisabeth von Suderborg (Domina von 1570 bis 1573), die für eine weitgehende Bereinigung des Gottes- und Chordienstes vom römisch-katholischen Ritus gesorgt hatte, aus dem „Papistischen Nebel“ (Sophie Dorotee von Hinüber) treten und den Widerstand gegen die Reformation im Kloster Walsrode 1574 formal beenden.

Gedenktafel für die Pastorenfamilie Kelp, die drei Generationen lang in Walsrode wirkte. Sie hängt an der Westwand der Empore in der Stadtkirche. Henning Kelp war zwischen 1528 und 1575 der erste evangelische Pastor am Ort (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Man kann aber davon ausgehen, dass es gegen Ende des 16. Jahrhunderts weiterhin Konventualinnen gab, die der katholischen Glaubenslehre anhingen. Das zeigt eine Vorschrift der Klosterordnung des lüneburgischen Herzogs Wilhelm von 1574, die den Lehrkindern den Umgang mit „papistischen jungfrauen“ verbot. Und noch 1619 verfügte Herzog Christian von Braunschweig-Lüneburg in einer weiteren Klosterordnung, dass Personen, die nicht am Abendmahl teilnahmen, „im Stifft oder Closter länger nicht gelitten, sondern gestracks daraus gewiesen werden“ sollten.

So dauerte es Jahrzehnte, bis sich die Reformation nach Einführung im Fürstentum Lüneburg 1527 auch in Walsrode durchsetzte. Der Eingriff der Obrigkeit beschnitt die Eigenständigkeit klösterlichen Lebens und wandelte den Gehorsam gegenüber den Ordensoberen zum Gehorsam ihr gegenüber um.