Reformen und Öffnung des Klosters. Von Adelheid von Düring über Margarethe Lichte-Pfannkuche bis zu Dr. Eva von Westerholt

Der Einsatz der Konventualinnen für soziale Belange hielt auch im 20. Jahrhundert an. Im Ersten Weltkrieg wurde der Remter des Klosters zur Sammelstelle des Roten Kreuzes für Gaben an Soldaten und Verwundete umfunktioniert. Der an das damalige Äbtissinnenhaus angrenzende neugotische Fest- und Versammlungssaal war 1910 von Kaiser Wilhelm II. und seiner Gemahlin Auguste Viktoria gestiftet worden.

Durch eine Stiftung des deutschen Kaiserpaars konnte 1910 ein an das Haus der Äbtissin angrenzender Fest- und Versammlungssaal in neugotischem Stil eingerichtet werden (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Am 5. August 1914 hatte sich unter dem Vorsitz des Landrats Hermann Rotberg ein Komitee des Roten Kreuzes für den Kreis Fallingbostel gegründet. Weitere Vorstandsmitglieder waren der Fabrikant Oskar Wolff und die Äbtissin Adelheid von Düring (1856-1917). In der Klosterchronik schrieb sie begeistert: „Jeder brachte was er entbehren konnte Leinen vom Lande in (..) reicher Fülle (…). Auch Lebensmittel, fünf schöne Schweine, ein Rind, Geflügel, Wild, Eier alles wurde freiwillig gebracht.“ Dazu fanden im Remter Nähnachmittage statt, an denen auch bürgerliche Frauen teilnahmen. Zu Weihnachten 1914 wurden weitere Spenden angefertigt, gesammelt und dann versandt.

Adelheid von Düring (1856-1917) war 1904 zur Äbtissin gewählt worden und erlebte Beginn und Verlauf des Ersten Weltkrieges (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Wappen der Äbtissin von Düring, die in der Klosterchronik den 1914 vorherrschenden Patriotismus dokumentierte (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Über den Abschied der Soldaten am Walsroder Bahnhof Anfang August 1914 berichtete die Äbtissin: „Ein Jubel ein Enthusiasmus lag auf den Soldaten daß einen das Herz erbeben machte; doch fiel auch manche heimliche Träne bei dem Zurückbleibenden.“

Mit zunehmender Dauer des Kriegs wich der anfängliche Patriotismus einer immer größeren Bedrücktheit, ausgelöst auch durch den kriegsbedingten Mangel an Nahrungsmitteln. Unter steigenden Preisen und Rationierungen hatte ebenso das Kloster zu leiden. Äbtissin von Düring vermerkte für das Jahr 1915 in der Klosterchronik, dass man für Butter nun 2 Mark (zu Kriegsbeginn waren es noch 1,40 Mark) bezahlen und man dankbar sein müsse, „wenn man sie nur bekam“. Ein Pfund Schweinefleisch kostete 1,80 Mark, Rindfleisch 1,30 Mark und Kalbfleisch 1,40 Mark. Die zunehmenden Engpässe bei der Fleischversorgung hätten dazu geführt, dass an zwei Tagen in der Woche die Schlachterläden geschlossen seien.

Drei Jahre später berichtete ihre Nachfolgerin, Äbtissin Ernestine von Bülow (1864-1943), dass ein Brot statt wie früher 50 Pfennig nun 4,20 Mark kosten würde, ein Ei 2,50 Mark (1914 waren es noch 6 Pfennig) und ein Pfund Fleisch gar zwischen 14 und 20 Mark. Dazu würden die bescheidenen Klostereinnahmen kaum ausreichen, um genügend Heizmaterial beschaffen zu können. Im Februar 1916 hatte man viele Schulen im Kreis wegen Kohlenmangels vorübergehend schließen müssen, ebenso im Winter 1917. Der Preis für einen Meter Buchenknüppelholz lag zu der Zeit zwischen 14 und 20 Mark. Versorgungsengpässe und steigende Lebensmittelpreise begünstigten die Entstehung eines Schwarzmarktes, da die Preise auf dem regulären Markt nicht immer kostendeckend für die Erzeuger waren.

Die seit Januar 1918 amtierende Äbtissin Ernestine von Bülow (1864-1943) wurde Zeugin des Kriegsendes und Zusammenbruchs der Monarchie (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Wappen der Äbtissin von Bülow. Sie erlebte die unruhige Zeit zwischen den beiden Weltkriegen (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Besonders hart traf den Konvent das Kriegsende im November 1918. Noch Ende Oktober hatte die Walsroder Zeitung Durchhalteparolen veröffentlicht, die dazu aufforderten, dem Gegner „unsere starke Willenskraft“ entgegenzusetzen. Umso schmerzlicher war die Niederlage, die viele von der langjährigen Kriegspropaganda geprägte Deutsche jetzt in der Realität ankommen ließ.

Andere wollten dies nicht wahrhaben und ergingen sich in von der Obersten Heeresleitung in die Welt gesetzten Verschwörungstheorien. Um sich der Verantwortung für den verlorenen Krieg zu entziehen, erfand sie die „Dolchstoßlegende“. Diese besagte, dass das deutsche Heer „im Felde unbesiegt“ geblieben wäre und erst durch oppositionelle Zivilisten (gemeint waren besonders die Sozialdemokraten) aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten hätte. Wie viele andere Konservative vertrat auch die Äbtissin von Bülow diese Meinung und notierte in der Klosterchronik: „Durch Verrat wird in letzter Stunde unsern Feinden der Sieg zugewandt. An der Front herrscht derselbe Opferwille, das geliebte Vaterland zu verteidigen, wie zu Anfang, aber dann kommt es wie ein Stoß in den Rücken der tapfer kämpfenden Truppen: die Revolution.“

Mit der Novemberrevolution ging das Ende der Monarchie einher. Die seit Gründung des Klosters im frühen Mittelalter über Jahrhunderte vorhandene adelige Landesherrschaft wurde nun durch eine bürgerliche ersetzt, was die noch mit der Vorstellung von der traditionellen Vormachtstellung des Adels aufgewachsene Äbtissin von Bülow, die den 9. November 1918 als „Deutschlands Unglückstag“ bezeichnete, entsetzt schreiben ließ: „Eine Regierung aus der Hefe des Volkes hervorgegangen, kommt ans Ruder, damit ist Deutschlands Schicksal besiegelt, es geht täglich mehr abwärts.“ Ebenso schmerzte sie, dass mehrere Konventsmitglieder „aus Billigkeitsgründen ohne Jungfern“ auskommen müssten – bislang undenkbar für eine Dame von Stand. Der „aufhetzende Revolutionsgeist“ hätte zudem die schnelle Wiederbesetzung der Stelle des Klosterwärters verhindert.

Durch die nachfolgende Inflation („Arbeitslosigkeit, rasende Lohnforderungen und Teuerung herrschen“) verloren die Konventualinnen ihr Vermögen. Erst ab 1924 geriet das Klosterleben wieder in ruhigere Bahnen.

Über den Beginn der NS-Zeit findet sich nichts in der Klosterchronik; Äbtissin von Bülow berichtete nur über interne Angelegenheiten. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg rückten die äußeren Umstände wieder stärker ins Blickfeld.

Am 21. Mai 1943 war Pauline von Heimburg zur neuen Äbtissin gewählt worden. Die Eltern der 1887 Geborenen waren der Major Victor von Heimburg und seine Frau Auguste, geborene von Plato. Mit 23 Jahren hatte man sie in den Konvent aufgenommen. Als Zeitzeugin dokumentierte sie die Ereignisse der zweiten Kriegshälfte in der Stadt Walsrode sowie ausführlich auch dessen Ende.

Wappen der Äbtissin von Heimburg, die das Kloster durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre führte (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Äbtissin Pauline von Heimburg (1887-1965) war Zeitzeugin des Kriegsendes 1945, das sie ausführlich in der Klosterchronik beschrieb (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Sie registrierte die ab Mitte Februar 1945 zunehmenden Fliegerangriffe („Es wird manchmal an einem Tage 4-5 mal Fliegeralarm gegeben“), die die Konventualinnen zwangen, tagsüber und oft auch nachts stundenlang im Luftschutzkeller auszuharren. 1940 hatte die Klosterkammer Hannover als übergeordnetes Verwaltungsorgan den Raum unter dem Kirchturm zum Luftschutzkeller für das Kloster und die Gottesdienstbesucher ausbauen lassen. Bei einem großen Angriff am 14. April seien viele Gebäude am Ort beschädigt worden und Fensterscheiben kaputtgegangen. Dazu habe eine im Garten einer Klosterdame niedergegangene Bombe „einen tiefen Trichter gemacht“. Daneben schrieb von Heimburg über die zunehmende Zahl an unterzubringenden Flüchtlingen, die meist nur einen kleinen Koffer hätten mitnehmen können: „Wir haben über 50 Fremde im Kloster.“

Anfang April zog viel Militär durch die Straßen („Die Feinde rücken immer näher“). Am 15. April nahmen dann die Briten die Stadt ein: „Nachmittags ½ 6 fahren die ersten feindlichen Panzerwagen von der Verdenerstr. her in die Stadt ein, Walsrode wird übergeben. Von nun an rollen ununterbrochen die feindlichen Truppen durch die Straßen wohl 14 Tage Tag und Nacht. Die ersten Tage darf die deutsche Bevölkerung nur eine Stunde vormittags aus dem Hause gehen, um das Nötigste zu besorgen. Alle Schulen sind mit englischem Militär belegt. Die Ausgangszeiten für uns werden bald verlängert, aber sonst sind wir vollkommen abgeschnitten, kein Bahnverkehr, keine Post, nichts. Von den Polen, die aus den Gefangenenlagern entlassen sind, wird auf dem Lande viel geplündert und gemordet. Am 8. Mai wird der Waffenstillstand bekannt gegeben. Bedingungslose Kapitulation! Nun hört endlich das Blutvergießen auf.“

Mitte Juni nahm der Zugverkehr seinen Betrieb wieder auf. Ebenso konnte man erneut Post empfangen. Die Ernährungslage blieb weiterhin kritisch „durch die vielen Flüchtlinge und die Besatzungstruppen, aber satt werden wir immer noch“. Von den Geschäften hatten nur die Lebensmittelläden, Schlachter und Bäcker geöffnet. Erst zum Jahresende begann sich das öffentliche Leben langsam zu normalisieren: „In den Schulen fängt allmählich der Unterricht wieder an, eine Stunde täglich. Ab und an ist ein Konzert und das Kino ist wieder geöffnet.“ Die von Georg Scheele betriebenen Walsroder Lichtspiele waren zwischen dem 2. April und 2. Juli 1945 geschlossen.

Daneben ergaben sich neue Probleme: „Alles fürchtet sich vor dem Winter, da es außer Holz gar keine Feuerung geben soll, und auch das nur wenig.“ Um Holz im Wald schlagen beziehungsweise suchen zu dürfen, benötigte man eine Genehmigung. Zum schwersten Winter des 20. Jahrhunderts mit mehreren Hunderttausend Todesopfern in Deutschland sollte erst der nachfolgende 1946/47 werden („Hungerwinter“). Dazu kamen immer noch Flüchtlinge in die Stadt, für die weitere Zimmer und Wohnungen beschlagnahmt wurden. Erleichtert notierte die Äbtissin in der Chronik, dass man den Klosterdamen jeweils ein Wohn- und Schlafzimmer sowie ihr gesamtes Mobiliar gelassen hätte. Die Briten empfand sie als „ruhig und höflich“.

Zum „recht trüben“ Weihnachtsfest habe es zwar einen Tannenbaum gegeben, allerdings keine Kerzen: „Aber die meisten haben vom vergangenen Jahr noch ein paar Stummel.“ 1945 ging dann mit einem besonderen Ereignis zu Ende, was die Chronistin durch Unterstreichungen verdeutlichte: „Sylvesternacht um 1200 ist von den Engländern ein Gottesdienst gemeinsam mit den Deutschen angesetzt: die Kirche ist bis zum letzten Platz besetzt. Es ist eine eigenartige aber schöne Feierstunde. Was mag uns das neue Jahr bringen?“ Pauline von Heimburg übte das Amt der Äbtissin noch fast 20 Jahre bis Ende 1962 aus, ehe sie aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat und am 14. April 1965 starb.

Festessen im Remter 1952: Neben der Äbtissin Pauline von Heimburg (1887-1965) sitzt der Präsident der Klosterkammer, Albrecht Stalmann (1880-1967) (Kloster Walsrode).

1949 konnte der Remter wieder für eine Feier zur Einführung zweier neuer Konventsmitglieder genutzt werden, nachdem er 1944 von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) zum Zweck der Unterbringung von Betten, Kleidungsstücken und anderen Dingen beschlagnahmt worden war.

Kloster Walsrode Remter

Der im ehemaligen Kapitelhaus aus dem Spätmittelalter eingerichtete, im Juli 1912 bezugsfertige Remter diente im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Sammelstelle. An den Wänden hängen die Porträts der Äbtissinnen. Heute kann man dort heiraten (Kloster Walsrode).

In der Zeit des „Wirtschaftswunders“ wurde das Kloster 1964 ans städtische Kanalisationsnetz angeschlossen und erhielt zwei Jahre später eine Ölheizung. 1974 verlegte man das Domizil der Äbtissin vom bisherigen Haus gegenüber der Kapelle ins Gebäude neben dem Eingang zum Kloster. Der eingeschossige Fachwerkbau war in den 1720er Jahren von der Familie von Bothmer für den Eintritt einer ihrer Töchter in den Konvent errichtet worden.

Rückwärtige Ansicht des alten Äbtissinnenhauses aus dem frühen 20. Jahrhundert mit dem Chor der Stadtkirche (rechts) (Walsroder Album, hrsg. von Erwin Vogler, Walsrode 1985

Zwischen 1721 und 1730 ließ die Familie von Bothmer ein Konventualinnenhaus erbauen, in dem seit 1974 die jeweilige Äbtissin wohnt (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

1980 gelangte mit Margarethe Lichte-Pfannkuche (1920-1992) die erste Bürgerliche ins Amt der Äbtissin. Sie belebte einige alte Traditionen wie die Heringsspende und das Johannissingen neu und schrieb das Klostergebet.

Margarethe Lichte-Pfannkuche (1920-1992) war die erste bürgerliche Äbtissin in der Walsroder Klostergeschichte (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Die Heringsspende geht zurück auf eine Stiftung der Familie von Hodenberg aus dem 16. Jahrhundert. Die Armen der Stadt Walsrode sollten daraus jährlich mit einer Tonne Heringe und ausreichend Brot bedacht werden. Zu Verwaltern wurden die Domina des Klosters sowie der Walsroder Bürgermeister benannt. Da das Kapital aber nicht in den Händen des Klosters lag, kam es 1907 zu einem Prozess, der ergab, dass das Kloster nicht zur Heringsspende verpflichtet war. Sie wurde dann als freiwilliges Angebot weitergeführt, bis die von Hodenberg’sche Stiftung ein Opfer der Inflation wurde.

Zur Wiedereinführung der Heringsspende einige Jahrzehnte später schrieb die Äbtissin 1983 in der Klosterchronik: „Am 22. Juli beging die Stadt Walsrode die 600-Jahrfeier der Stadtrechtsverleihung. (…) Unser nettester Beitrag war die ,Klosterspende’ für Schulkinder. In einem Buch fand ich die alte Tradition, nach der es früher Franzbrot [längliches, dem Baguette ähnliches Brot] und Hering gab, später Geld, sie bestand bis zur Inflation nach dem ersten Weltkrieg. Wir hatten das vierte Schuljahr ausgewählt, 240 Kinder gingen in 4 Gruppen durch, in der Kapelle erzählten wir die Walo-Legende, Frau Pabst aus Kirchboitzen sang mit ihnen einige Lieder, dann gab es im Langen Gang für jedes Kind ein Eis. Die Eisausgabe machte Frau Porstendörfer sehr hübsch, in Tracht, unterstützt von A[sta]. v[on]. Düring.“

Die Konventualin Ingeborg Porstendörfer bei der Verteilung der „Heringsspende“ an Walsroder Grundschüler, 1983 (Archiv Kloster Walsrode).

Seit dieser Zeit werden die Walsroder Viertklässler in jedem zweiten Jahr und seit 2022 alljährlich vor den Sommerferien zu einer Führung eingeladen. Zwischen 160 und 220 daran teilnehmende Kinder werden in Klassenstärken an einem Tag durch das Kloster geführt. Durch die immer stärker virtuell bestimmte Lebenswelt der Schüler hat der Konvent das Konzept der klassischen Führung mit hoher Konzentrationserfordernis geändert und in Zusammenarbeit mit der Cellistin und Musikvermittlerin Malin Kumkar ein neues entwickelt. Seit dessen Einführung 2022 werden die Kinder stärker über Klänge angesprochen.

An mehreren Stationen auf dem Klostergelände erleben die Schüler Musik, Wort und Klang in einer besonderen Verbindung. Dazu werden Rätselzettel ausgefüllt, Rhythmen imitiert und vielseitige Instrumente kombiniert mit Geschichten aus dem Kloster gehört. Damit wird die Führung in kurze und abwechslungsreiche Einheiten eingeteilt. Den Abschluss bildet ein gemeinsamer Gesang samt Picknick im Garten oder in der Remise. Dieses Format wurde von den Schulen mit großem Interesse aufgenommen, zumal das Evangelische Damenstift Kloster Walsrode 2021 vom Heidekreis als außerschulischer Lernort anerkannt worden ist.

Das daneben alljährlich am 24. Juni, dem Johannistag, in Form einer musikalischen Andacht in der Klosterkapelle stattfindende Johannissingen geht ebenso auf die Wiederbelebung durch die Äbtissin Lichte-Pfannkuche zurück. Johannes der Täufer ist seit dem 10. Jahrhundert der Schutzpatron des Klosters und der Stadtkirche.

Wegen Corona fand das Johannissingen im Sommer 2022 in der Walsroder Stadtkirche statt (unter den damals herrschenden Corona-Auflagen). Rechts sitzt die seit 2020 amtierende Äbtissin Dr. Eva Gräfin von Westerholt (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

1986 wurde das Kloster 1000 Jahre alt. Dies wurde vom Walsroder Ratsgremium zum Anlass genommen, am 6. und 7. September ein großes Stadtfest zu feiern, bei dem über 100 Festwagen und Gruppen, begleitet von 1400 Musikern, durch die Walsroder Innenstadt zogen. In verschiedenen Zelten und an Ständen konnte man Kulinarisches oder Musikalisches genießen.

Das Kloster behielt sich allerdings eine eigene Feier vor. Nach einem Gottesdienst am 7. Juni 1986 in der Walsroder Stadtkirche mit Festpredigt des Landessuperintendenten Thielko Tilemann und einem Festvortrag zur Geschichte des Klosters durch Professor Josef Fleckenstein, Direktor des Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte, an dem Damen aller 14 Stifte und Klöster Niedersachsens in ihrem jeweiligen historischen Habit (Tracht einer Ordensgemeinschaft) teilnahmen, setzte man die Feierlichkeiten mit einem Festessen in der Stadthalle fort. Im Rahmen der klösterlichen Festwoche wurden Klosterführungen, ein plattdeutscher Festgottesdienst, eine Aufführung des Oratoriums „Christus“ und verschiedene kirchliche Veranstaltungen in einem Zelt am Klostersee angeboten.

Der Konvent des Klosters Walsrode mit Äbtissin Margarethe Lichte-Pfannkuche (vorn in der Mitte) und Pastorin Vera Conring im Jubiläumsjahr 1986 (Archiv Kloster Walsrode).

Empfang vor der Walsroder Stadthalle zur 1000-Jahrfeier des Klosters am 7. Juni 1986 mit Bürgermeister Hans Prümm (rechts), dem Walsroder Konvent, Konventualinnen anderer niedersächsischer Klöster sowie Darstellern des Grafen Walo mit Gemahlin Odelint und Tochter Mechthildis (Archiv des Klosters Walsrode).

Die Nachfolgerinnen von Margarete Lichte-Pfannkuche im Amt der Äbtissin haben das Kloster seit 1990 weiter für bürgerliche Konventualinnen wie interessierte Besucher geöffnet.

Die seit Januar 2020 amtierende Äbtissin Eva von Westerholt, promovierte Juristin, hat das Klostertor weit geöffnet und präsentiert das ganze Jahr hindurch ein vielfältiges kulturelles Veranstaltungsprogramm für die breite Öffentlichkeit. Dazu gehören Vorträge, Lesungen und Konzerte im Remter sowie in den Sommermonaten im Klostergarten mit anschließender Möglichkeit zur Diskussion und zum geselligen Beisammensein. Daneben kann man an einer der nahezu täglich stattfindenden Führungen oder der Andacht am Donnerstag teilnehmen, individuell durch die klösterliche Parklandschaft spazieren, sich im Remter trauen lassen oder in einer der Ferienwohnungen übernachten. Die täglich geöffnete Klosterkapelle besitzt das Signet einer Pilgerkirche der Evangelischen Landeskirche, da das Kloster am Jacobusweg Lüneburger Heide liegt. Pilgern stehen Einzel- und Doppelzimmer zum Übernachten zur Verfügung. Ein Klosterladen versorgt Interessierte mit spannender Lektüre über das Kloster, mit christlichen Texten oder selbst gemachtem Quittengelee aus Früchten des Klostergartens.

Im Sommer 2021 konnten Jugendliche der Felix-Nussbaum-Schule, Oberschule Walsrode bei einem Fotoworkshop die Räumlichkeiten des Klosters auf kreative Weise kennen lernen. Daneben positioniert sich die derzeitige Äbtissin auch politisch: So rief Dr. Eva von Westerholt im Frühjahr 2022 zur Solidarität mit der Ukraine auf und organisierte ein Benefizkonzert mit dem Pianisten Justus Frantz in der Stadtkirche. Anfang 2024 nahm sie Stellung gegen das Erstarken rechtsradikaler Parteien in Deutschland und war auch auf Demonstrationen von Bürgern im Heidekreis gegen Rechtsextremisten zugegen. Ihre Amtszeit gestaltet sie unter dem Motto „Öffnung, Frieden, Modernität und Austausch“. Als aktuelles Projekt entsteht 2024 in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern der Berufsfachschule Holztechnik der Berufsbildenden Schulen Walsrode ein maßstabsgetreuer Nachbau des Gebäudeensembles des Evangelischen Damenstifts Kloster Walsrode im Kleinformat.

Mitglieder des Walsroder Konvents bei der Einführungsfeier der derzeitigen Äbtissin Dr. Eva von Westerholt (Mitte, rechts neben der Alt-Äbtissin Thea Bosse) am 21. Mai 2022 (Silvia Herrmann, Archiv der Walsroder Zeitung).

Das Übernehmen von Verantwortung für die Gesellschaft, die Traditionspflege und das gemeinschaftliche Leben im christlichen Glauben werden die Bewohnerinnen des heutigen Evangelischen Damenstifts Kloster Walsrode auch in der Zukunft weiterhin auszeichnen. In enger Verbindung sehen sie sich dabei als Bestandteil der Walsroder Gesellschaft.