Das Kloster bangt um seine Existenz. Henriette Friederike von Pufendorf

Nach dem Tod der Äbtissin Sophie Anne Dorotee von Hinüber im Juli 1803 kam es erst drei Jahre später zu einer Neuwahl. Man befand sich in schwierigen Zeiten. Seit Juni 1803 stand das Kurfürstentum Hannover infolge der Kriege Napoleons unter französischer Verwaltung. Die geflüchtete Regierung hatte für die dringendsten öffentlichen Aufgaben ein Landes-Deputations-Kollegium eingesetzt, das dem Kloster riet, angesichts der Invasion und der damit verbundenen Probleme (Zahlung einer hohen Kriegssteuer zur Besoldung und Verköstigung der französischen Armee) zunächst von einer Neubesetzung der Äbtissinnenstelle abzusehen.

Der französische Feldherr Napoleon Bonaparte (1769-1821) in seinem Arbeitszimmer auf einem Gemälde von Jacques-Louis David, 1812 (National Art Museum Washington, D.C.).

Erst als im Februar 1806 die Preußen in Hannover einzogen, sah man die Gelegenheit zum Nachholen der Wahl gekommen. Diese sollte relativ schnell erfolgen. Da aber die meisten Konventualinnen wegen der unruhigen Zeiten das Kloster verlassen hatten, musste man erst auf die Rücksendung ihrer Stimmzettel warten. Am 28. Februar 1806 konnte die Auszählung vorgenommen werden. Einstimmig wurde die seit 1798 amtierende Priorin Henriette Friederike von Pufendorf gewählt, die bis dahin die Amtsgeschäfte der verstorbenen Äbtissin weitergeführt hatte. Auch sie lud nach ihrer Installation zu einem Festmahl ein, das aber wegen der politischen Umwälzungen etwas bescheidener ausfiel und das Kloster gut 40 Reichstaler kostete.

Als Henriette Christine Eleonore Friederike Pufendorf war sie 1750 als Tochter des Juristen Friedrich Esaias Pufendorf  in Celle zur Welt gekommen (und eine entfernte Verwandte der früheren Äbtissin Christiana Veronica von Pufendorf). 1756 wurde die Familie in den Adelsstand erhoben. Sie hatte vier Brüder und drei Schwestern, von denen zwei Stiftsdamen wurden. Mit 18 Jahren nahm sie das Kloster Walsrode als Koventualin auf; 30 Jahre später wurde sie zur Priorin ernannt. Als Äbtissin führte sie das Kloster dann ab Februar 1806 durch die Franzosenzeit.

Das Wappen der Äbtissin Henriette Friederike von Pufendorf auf dem von ihr angeschafften Uhrgehäuse in der Klosterkapelle (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Nach dem Abzug der Preußen im Oktober 1806 (sie hatten am 14. Oktober die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt verloren) rückte erneut französisches Militär ein. Dem von Napoleon 1807 errichteten Königreich Westphalen wurde im Frühjahr 1810 das Fürstentum Lüneburg eingegliedert. Große Gebiete davon verleibte der Franzose aber bereits im Dezember wieder seinem Kaiserreich ein. Mit der Böhme als Grenzfluss geriet Walsrode in die absurde Situation, dass die Stadt zu Frankreich gehörte und die daran angrenzende Gemeinde Vorbrück zu Westphalen. Damit war das Kloster von vielen seiner Ländereien und damit auch Naturallieferungen abgeschnitten. Während Handel und Verkehr lahmgelegt wurden, blühte der Schmuggel. Die Besatzung endete endgültig mit der Niederlage Frankreichs in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813.

Die die Gemeinden Vorbrück (bis 1929 selbständig) und Walsrode verbindende Brücke (rechts) bildete von 1810 bis 1813 die Grenze zwischen dem Kaiserreich Frankreich und Königreich Westphalen. Links am Bildrand ist die Walsroder Stadtkirche zu erkennen (Stadtarchiv Walsrode).

Die dauernden Regierungswechsel, zu leistenden Kriegssteuern und die kritische Verpflegungslage belasteten die Koventualinnen. So hatten einige besonders vermögende von ihnen mit jeweils mehreren Hundert Franc (200 Franc entsprachen dabei ungefähr 45 Reichstalern) Weihnachten 1807 zu einer Zwangsanleihe beizutragen, die die Franzosen wegen der spärlich fließenden Kriegssteuern eingeführt hatten. Dazu übertrugen die Franzosen im Januar 1811 die zum Kloster gehörenden Besitzungen dem General Duroset als Dotation (Schenkung). Noch schlimmer kam es im Oktober, als ein Monsieur le Boeuf das gesamte Kloster im Namen des französischen Kaisers besetzte. Er erstellte ein ausführliches Inventar mit insgesamt 95 Positionen.

Wirklich ernst wurde die Lage dann 1812: Im Februar wurde dem Konvent dessen offizielle Aufhebung mitgeteilt. Binnen vier Wochen mussten alle Bewohnerinnen das Kloster verlassen. Sie zogen zu Verwandten oder mieteten sich eine Wohnung am Ort. Die Klostergebäude wurden vermietet. Henriette Friederike von Pufendorf schrieb in der Klosterchronik, dass in das Äbtissinnenhaus ein „Post Bureau“ eingezogen sei. „Alles was von Mobiliar im Kloster und auf dem Chor war ward verkauft, sogar die beiden Glocken, im Thurm. Das Chor ward gänzlich ruinirt, das es gänzlich unbrauchbar zum Gottesdienst ward.“

Das zwischen 1733 und 1742 erbaute und ein paar Jahrzehnte später verlängerte (damalige) Äbtissinnenhaus diente nach der Aufhebung des Konvents durch die Franzosen 1812 kurzzeitig als Postamt (Barbara von Hövel / Klosterkammer).

Am 25. Juni 1812 fand im Kloster eine öffentliche Auktion statt, bei der 90 Gegenstände versteigert wurden, darunter Betten, Tische, Gemälde, Leuchter, Uhren und Laken. Selbst die von der Äbtissin von Hinüber 1785 für 325 Reichstaler erworbene Orgel in der Klosterkapelle fand einen Käufer. Trotz späterer Bemühungen um Rückbeschaffung gingen viele, teilweise unschätzbar wertvolle Kulturgüter verloren. Enteignung und Zwangsverkauf stellten einen einmaligen Vorgang in der Klostergeschichte dar.

Nachdem Ende 1812 Gerüchte kursierten, dass auch die Stiftsgebäude verkauft werden sollten, bangte der Konvent um seine Existenz. In einem Schreiben an den Präfekten in Bremen und an die Unterpräfektur in Nienburg versuchte man, sich als völlig unbedeutend darzustellen, indem man die Wohnungen als klein, eng und dunkel beschrieb und die finanzielle Lage der Damen als prekär: „Sie bildeten auch nicht einmal eine Familie, indem sie in 5 verschiedenen Gebäuden wohnten u jede ihren separaten Haushalt, ja sogar ihre Küche für sich hatte.“

Mit der sich abzeichnenden Niederlage Napoleons durften im Mai 1813 die ersten Konventualinnen ihre Klosterräume auf eigene Kosten wieder beziehen, und ab November konnten sie erneut von ihren amtlich zugesicherten Einnahmen profitieren. Doch musste Äbtissin von Pufendorf teilweise Druck ausüben, um die adeligen Damen zur Rückkehr zu bewegen, indem sie ihnen mit der Kürzung der Bezüge drohte.

Das leer geräumte und teilweise verwüstete Kloster muss einen schrecklichen Anblick geboten haben. Nach dem Abzug der Franzosen erstattete der Klosterkommissar von der Wense am 14. Juni 1814 darüber Bericht an die Provisorische Regierungs-Kommission. Diese setzte am 24. Juni eine Bekanntmachung in die „Hannoverschen Anzeigen“, mit der Aufforderung an alle Käufer, die ersteigerten Sachen an das Kloster zurückzugeben. Ansonsten drohe eine Strafe. Allerdings war der Apell wenig erfolgreich. Auch als von der Wense sich mit einem Schreiben in der Auktions-Angelegenheit an Bürgermeister und Senat von Walsrode wandte und um Amtshilfe bat, fanden diese allerhand Ausflüchte.

Darüber enttäuscht und verärgert, wandte sich die Äbtissin mit zwei Denkschriften im August 1814 an den Walsroder Magistrat wie den Klosterkommissar. Während sie sich in ersterem Schreiben in gemäßigtem Ton darum bemühte, falsche Behauptungen richtig zu stellen, nahm sie im zweiten kein Blatt vor den Mund. In geharnischter Rede beschwerte sie sich über die in ihren Augen unerhörten Anmaßungen und Respektlosigkeiten der Bevölkerung. Schon seit mehreren Jahrzehnten herrschte eine feindliche Stimmung in der Stadt, die sich bei Aufhebung des Klosters offen gezeigt hätte. Die Bürger nähmen jede Gelegenheit wahr, um den Konventualinnen zu schaden, die sie aus Verachtung nicht einmal bei den ihnen gebührenden Namen der „adelichen Fräuleins“ nennen würden. Diese „vorsezliche Geringschätzung“ führte die Äbtissin auf „allgemeinen Haß und Bitterkeit der Bürger gegen den Adel“ zurück, der „durch Wohlstand und Connectionen weit über sie erhaben ist“.

Besonders ärgerte sie, dass das Kloster von der Stadt nicht zum Festessen bei dem von der Regierung angeordneten Friedensfest am 24. Juli 1814 eingeladen worden war. Dazu war sie verbittert im Hinblick auf die Selbstsüchtigkeit und Pietätlosigkeit der Bürger beim Ausverkauf des Klosterinventars – sogar die Pastoren hätten sich daran beteiligt. Zudem wäre die Klosterkirche auch nicht Teil der Stadtkirche, sondern ein für sich bestehendes Gebäude, das nur durch eine Tür mit der Stadtkirche verbunden wäre, durch die der städtische Pastor treten müsste, um mit den Damen das christliche Abendmahl zu feiern.

Die sich an das Lange Haus anschließende Klosterkapelle mit ihren gotischen Südfenstern ist direkt mit dem Chor der 1850 erbauten Walsroder Stadtkirche (rechts im Hintergrund) verbunden (Barbara von Hövel / Klosterkammer).