Neubauten und Besetzung des Klosters. Christiana Veronica von Pufendorf
Nach dem Tod des Herzogs Georg Wilhelm 1705 fiel das Fürstentum Lüneburg an seinen Neffen und Schwiegersohn Georg Ludwig, seit 1698 hannoverscher Kurfürst. Damit wurden die Lüneburger Klöster nun von Hannover aus verwaltet. Anlässlich der Eingliederung bat man sie, dem neuen Landesherrn mögliche Beanstandungen mitzuteilen.
Georg Ludwig, Herzog von Braunschweig-Lüneburg (1660-1727), regierte ab 1698 das Kurfürstentum Hannover, ehe er 1714 als Georg I. König von Großbritannien wurde. Das Porträt von Godfrey Kneller zeigt ihn in der Krönungsrobe (Wikipedia).
Aus Walsrode kam die Nachricht, dass die dortigen alten und großen Bauten in desolatem Zustand seien. Einige Konventualinnen hätten sich daher genötigt gesehen, auf eigene Kosten Häuser außerhalb des Klosters zu erbauen, während andere sich in noch halbwegs bewohnbaren Winkeln notdürftig eingerichtet hätten. Zur Beendigung dieses unwürdigen Zustands sollte das mittelalterliche Kloster abgebrochen und aus den Abbruchsteinen ein kleineres Gebäude mit sechs Wohnungen errichtet werden. Es dauerte allerdings noch einige Jahre, bis die Finanzierung des mit 7000 Reichstalern veranschlagten Baus geklärt werden konnte, die weder Kloster noch Ritterschaft tragen konnten bzw. wollten.
Nach mehreren von der kürfürstlichen Regierung in Auftrag gegebenen Gutachten und zahlreichen Eingaben des Konvents wurden die Baukosten schließlich „aus besondern gnaden“ vom Landesherrn bestritten. 1720 konnte man das „Langer Gang“ genannte Wohngebäude nach dreijähriger Bauzeit einweihen. In der Klosterchronik heißt es dazu: „Im November sind die 6 neuen Kloster häuser bezogen und hat jede Frl. nach dem alter ihres einkommens ins Kloster sich ein hauß gewehlet.“ 1727 konnten dazu Reparaturen am Dach und Pflaster auf dem Klosterchor vorgenommen werden; zwei Jahre später entstanden ein neues Wasch- und Brauhaus sowie eine neue Klostermauer. In den nachfolgenden Jahrzehnten kam es zu weiteren Bauten wie einem neuen Äbtissinnenhaus (1743 eingeweiht), die bis heute das Erscheinungsbild des Klosters prägen.
Das 1720 nach dreijähriger Bauzeit eingeweihte Wohngebäude für Konventualinnen wird wegen seiner Form „Langer Gang“ genannt (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
An den Wänden des „Langen Gangs“ befinden sich die Wappen der Vorsteherinnen des Klosters seit der Reformation. Der Fußbodenbelag aus ursprünglich roten Steinen wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch Fliesen ersetzt (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Der Lageplan des Klosters von 1755 zeigt das zentrale, zwischen 1717 und 1720 errichtete zweiflügelige Gebäude mit sechs Wohnungen („Langer Gang“, P). 1729 waren weitere Nebengebäude und eine neue Mauer, von 1733 bis 1742 ein neues Äbtissinnenhaus (L) in Fachwerkbauweise entstanden (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
1729 ernannte die amtierende Äbtissin Dorothea Magdalena von Stoltzenberg (1647-1737) Christiana Veronica von Pufendorf zur Priorin. 20 Jahre zuvor war die am 29. Oktober 1689 in Regensburg geborene Tochter des königlich schwedischen Geheimen Rats und Kanzlers Esaias von Pufendorf, der 1682 in den Adelsstand erhoben worden war, vom Kurfürsten Georg Ludwig nominiert ins Kloster eingetreten.
Mit dem Porträt der verstorbenen Äbtissin Dorothea Magdalena von Stoltzenberg auf dem Totenbett begann die Galerie der Äbtissinnen. Sie hatte das Amt der Klostervorsteherin 45 Jahre ausgeübt (bis heute ein Rekord!), ehe sie 1737 mit 90 Jahren starb (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Ihr Vater hatte übrigens während seines Studiums in Leipzig den späteren General und Staatsmann Otto Wilhelm von Königsmarck kennen gelernt, dessen Vater schwedischer Feldmarschall war. Dadurch konnte Esaias von Pufendorf wichtige Beziehungen knüpfen und Karriere in schwedischen Diensten machen. Zusammen mit Otto Wilhelm von Königsmarck übernahm er nach dem Tod von dessen Bruder die Vormundschaft über die Witwe und vier Kinder. Zu diesen gehörte Philipp Christoph von Königsmarck, der später eine Liebesbeziehung zur Ehefrau des Kurprinzen Georg Ludwig, Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, unterhielt. Während er 1694 (vermutlich) ermordet wurde, inhaftierte man die Erbprinzessin bis zu ihrem Tod 32 Jahre lang auf Schloss Ahlden.
Die Affäre zwischen Philipp Christoph von Königsmarck (1665-1694) und Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg (1666-1726) war eine der größten Skandalgeschichten im damaligen Europa und bewegt bis heute die Gemüter (Museum im Schloss Celle / Wikipedia).
Als klösterliche Geschäftsführerin zeichnete sich Christiana Veronica von Pufendorf durch großes finanzielles Geschick aus. 1736 sorgte sie dafür, dass ihre Nichte Johanne Christiane von Wrangel ohne lange Wartezeit einen Platz im Kloster erhielt. Diese zahlte dafür 1200 Reichstaler. Mit dem Geld konnte ein 1731 gewährter Kredit von Oberst Jürgen Johann von Wrangel, dem Vater der Aufgenommenen, zurückgezahlt werden. Die verbliebenen 200 Reichstaler wurden unter den Konventualinnen aufgeteilt, wohl auch, um sie zu besänftigen. Der Verkauf des Platzes hatte sehr viel Unruhe ausgelöst und zwei Exspektantinnen (Anwärterinnen) dermaßen erzürnt, dass sie sich beim Geheimen Rat in Hannover über ein solches Vorgehen beschwerten. Da aber dem Kloster laut Rezess von 1626 das Recht zustand, Plätze gegen Geld zu vergeben (auch die Priorin war so 1709 Mitglied des Konvents geworden), wurde Christiana Veronica von Pufendorf vom obersten Regierungsgremium lediglich ermahnt, die nächsten zwei freien Stellen mit den Beschwerdeführerinnen zu besetzen. Dies konnte bereits 1737 geschehen.
Ein Jahr später stieg die Priorin von Pufendorf zur Äbtissin auf. 1711 war die bisherige Bezeichnung „Domina“ für die Klostervorsteherin durch „Äbtissin“ ersetzt worden. Als solche führte sie ab 1738 die Klosterchronik weiter, die 100 Jahre zuvor von ihrer Vorgängerin Anna Magdalena von Jettebrock begonnen worden war. Über ihre Wahl am 18. Januar 1738 schrieb sie, dass am Morgen der Landrat von Estorf als Klosterkommissar und der Amtmann von Hagen ins Kloster kamen: „darauff ging die anwesende Versamblung auffs Kohr, und legten ein jeder sein zettel worin geschrieben war, wem man seine Stimme für Abetissin gab, in einer Schüssel, so auff dem altar stund, darauff setzte sich ein jeder in seinen Platz, und ward Chorstunde gehalten, da indeßen die 2 Herren unten in der Kirche wahren.“ Nach ihrer Rückkehr verkündeten sie, dass Christiana Veronica von Pufendorf einstimmig zur Äbtissin gewählt worden wäre. Bei ihrer feierlichen Einführung am 30. Januar, erneut in Gegenwart des Landrats und Amtmanns, erhielt sie das Klostersiegel und die Schlüssel übergeben. Daraufhin fand ein Festmahl für 27 Personen statt, dessen Kosten die neue Äbtissin übernahm.
Das Porträt der Äbtissin Christiana Veronica von Pufendorf (Amtszeit 1738-1765) gehört zu den frühesten der Klostergeschichte und dokumentiert ihre herausgehobene Position, auch durch den damals nur hohen Adeligen vorbehaltenen Hermelinmantel (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Wappen der Familie von Pufendorf mit der Amtszeit der aus ihr stammenden Äbtissin (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
In ihrer Amtszeit stellte sie sich als hervorragende Verwalterin heraus. Dank ihrer Hartnäckigkeit konnte sie zum Beispiel bei der königlichen Kammer 1751 die Einfriedung des klostereigenen Friedhofs erreichen und 1754 die Errichtung eines hölzernen Verbindungsgangs vom Äbtissinnenhaus zum Klosterchor durchsetzen, um „trockenen Fußes“ dorthin gelangen zu können.
Zu den heutigen Sehenswürdigkeiten des Klosters zählt der hölzerne Verbindungsgang zwischen dem ehemaligen Äbtissinnenhaus und dem Klosterchor von 1754, durch den die Äbtissin auch bei schlechtem Wetter wohlbehalten zum Gottesdienst gelangen konnte (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Die am Weg zum Klosterfriedhof stehenden Pfeiler neben dem Langen Haus tragen je eine Aufschrift: „ANNO“ und „1751“ (Henrike Anders).
Blick auf den Klosterfriedhof, der Ende des 19. Jahrhunderts aus Platz- und hygienischen Gründen geschlossen werden musste (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Eine weitere Herausforderung stellte für von Pufendorf der Siebenjährige Krieg (1756-1763) dar. In ihm ging es hauptsächlich um territoriale Gewinne, wobei Preußen und Großbritannien einer Allianz aus der Habsburgermonarchie, Frankreich, Russland und Spanien gegenüberstanden. Nachdem der Kurfürst Georg Ludwig 1714 als Georg I. den englischen Thron bestiegen hatte, gab es eine Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover. Im Kampf gegen England besetzten die Franzosen 1757 das Kurfürstentum, konnten aber schon im Folgejahr wieder vertrieben werden.
Ende August 1757 waren französische Soldaten auch in Walsrode eingerückt. Während viele Bürger ausgeplündert wurden und Zwangszahlungen leisten mussten, übte sich das Kloster in Beschwichtigungspolitik. In der Chronik notierte die Äbtissin: „und ob wir zwar bey den vielen durchzügen der feinde und da wir öffters Einquartirung gehabt, unruhe genug empfunden, so hat es uns doch nicht gereuet, denn weil wir dem Feindt auf daß freundlichste begegnet so haben sie auch die größte ordnung im Kloster gehalten, und ist uns nichts weg gekommen.“ Zuvor hatte sie „die Kloster brieffschafften und das beste meiner Sachen weg geschikt“. Wohin diese in Sicherheit gebracht wurden, ist nicht überliefert. Erst Ende Dezember verließen die französischen Soldaten Stadt und Kloster wieder. Beide mussten während dieser Zeit für deren Unterbringung und Verpflegung aufkommen. So erhielt die zum Schutz vor umherziehenden Plünderern abgestellte französische Schutzwache 1757 vom Kloster täglich 27 Mariengroschen, dazu „deßen Unterhaltungen an Eßen und trinken, Betten, Licht nebst Fütterungen vor das Pferd a Tag 1 rthlr [Reichstaler, Anm. d. Autors].“
Dies wurde noch dadurch erschwert, dass ein am 6. Juli 1757 ausgebrochener Stadtbrand fast 95 Prozent aller Häuser vernichtet hatte. Laut dem Ortschronisten Hans Stuhlmacher entstand das Feuer gegen Abend um 17.30 Uhr im Haus des Bierbrauers Friedrich Fricke am Großen Graben durch eine Unachtsamkeit beim Braten von Speck; in kürzester Zeit fielen etwa 230 der strohbedeckten Gebäude den Flammen zum Opfer. Nur die Kirche, das Kloster, die beiden Pfarrhäuser und das Witwenhaus am Kirchplatz blieben verschont.
Die nicht direkt betroffene Äbtissin schrieb über die Brandkatastrophe: „In eben dießem Jahre den 6ten Juli abendts um 6 uhr ist vor dem Morstraßen Thor in des Brauer Fricken Hauße ein feuer entstanden, wodurch in 6 Stunden, die gantze Stadt in die asche geleget, und nur bloß die Kirche, das Kloster, die beyden prediger und einige kleine Häußer so nahe daran gestanden, stehen geblieben. Gott sey unendtlich davor geprießen das er uns abermahl so wunder bahr bewahret da uns dass feuer so nahe war dass die flammen über unsere gebäude schlugen.“ Einige Unstimmigkeiten im Vergleich zu Stuhlmacher lassen sich wohl damit erklären, dass Christiana Veronica von Pufendorf über das Jahr 1757 erst im Rückblick berichtet hat. Sie starb 75-jährig am 21. Februar 1765.
Blick auf den Klosterfriedhof, der Ende des 19. Jahrhunderts aus Platz- und hygienischen Gründen geschlossen werden musste (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Ihre 27 Jahre dauernde Amtszeit zeichnete sich durch Zielstrebigkeit und Tatkraft aus, eine exzellente Haushaltsführung sowie ihren unermüdlichen Einsatz zum Wohl des Klosters. Dabei scheute sie sich nicht, sich mit anderen adeligen Damen oder sogar der Regierung anzulegen.