Klosterleben während des Dreißigjährigen Kriegs. Anna Magdalena von Jettebrock
Als Anna Magdalena von Jettebrock 1631 das Amt der Domina übernahm, dauerte der Dreißigjährige Krieg bereits 13 Jahre an. Das Fürstentum Lüneburg war dabei wiederholt Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen. Die Stadt Walsrode hatte besonders während des niedersächsisch-dänischen Kriegs (1625-1629) unter zahlreichen Durchzügen verschiedener Heere und Plünderungen zu leiden. Im Oktober 1625 musste das Kloster die Truppen Herzog Friedrichs von Sachsen ausgiebig mit Proviant versorgen. So waren vier Schinken, acht Ochsenzungen, Austern, Muscheln, Lachs, Hering und daneben auch Butter und Käse, Graupen, Hirse, Grütze und jede Menge Gewürze abzuliefern. Aus dem Keller verlangte man mehrere 100 Liter Wein und etwa 800 Liter Bier. Einen Monat später drohten Einquartierungen der Truppen des Königreichs Dänemark, die man durch ein Hilfsgesuch an Herzog Christian von Braunschweig-Lüneburg zu verhindern versuchte. Darin klagte der Konvent, dass ihm bereits alle Pferde entwendet worden wären und bat darum, dass „wi bi unsen gebede fredtlich und unvorstoreth mogen bliven“. 1626 fielen Truppen des Heerführers der Katholischen Liga, Johann T’Serclaes von Tilly, in die Stadt ein. Sie plünderten und setzten 120 Gebäude in Brand, darunter auch das Rathaus. Dazu forderte die von den Soldaten eingeschleppte Pest viele Todesopfer.
Der oberste Heerführer der Katholischen Liga, Johann T´Serclaes von Tilly (1559-1632), auf einem Stich von Pieter de Jode d. Ä. Seine Truppen überfielen im Dreißigjährigen Krieg 1626 Walsrode, plünderten die Stadt aus und setzten sie in Brand (Fine Arts Museums of San Francisco).
Die Klosterbewohnerinnen selbst plagten daneben noch andere Sorgen. Durch das im Zuge der Reformation fortgefallene Probsteigut, das seit 1529 von einem fürstlichen Amtmann verwaltet wurde, hatte sich ihre materielle Lage erheblich verschlechtert, auch weil viele der wechselnden Beamten den Klosterhaushalt schlecht führten. Beschwerden des Konvents über ausstehende Roggen- und Malzlieferungen hatten zu einer Untersuchung durch den Landesherrn geführt, die 1626 mit einem Rezess (Vergleich) endete. Darin verpflichtete sich die fürstliche Kammer zur Abgabe eines festen jährlichen Deputats (aus Naturalien bestehender Anteil von Einnahmen) an die Konventualinnen, die dafür im Gegenzug das ihnen noch verbliebene, aus Gütern verschiedenster Art (Äcker, Wiesen, Wälder, Viehbestände u.a.) bestehende Konventsgut abtraten. Damit waren nun auch die letzten Besitztümer des Klosters aus dessen Verfügungsgewalt in die des Landesherrn übergegangen. Das wurde der damaligen Domina Salome von Daldorf (1550-1631) als Verhandlerin sehr übelgenommen. Eine solche Vereinbarung lässt sich für keins der anderen fünf Lüneburger Frauenklöster nachweisen.
Epitaph (Gedächtnismal) der Domina Salome von Daldorf, die während ihrer Amtszeit (1623-1631) dem Lüneburger Fürstenhaus das Konventsgut überschrieb, was im Kloster viel Kritik hervorrief (Heinemann).
Die Versorgung des Klosters wurde im 16. Jahrhundert durch die Grundherrschaft über 182 Höfe in 90 Dörfern gesichert. Ergänzend standen dem Kloster die Zehnten aus rund 40 Dörfern wie der Schmal- und Viehzehnt aus 22 weiteren Dörfern zu. Daneben wurden einige Ländereien von einem neben dem Kloster liegenden Wirtschaftshof aus in Eigenwirtschaft bestellt. Das Kloster besaß sechs Mühlen, die Holz- und Mastgerechtigkeit in den Forsten rund um Walsrode sowie das Fischrecht in der Böhme und drei Teichen in der Nähe Walsrodes. Dazu verfügte es über regelmäßige Einkünfte aus Anteilen an der Saline Lüneburg.
Während durch den Rezess von 1626 die Versorgung mit Nahrungsmitteln weitgehend sichergestellt war, kam es zu Problemen hinsichtlich der Geldeinnahmen. Dem Kloster standen aus dem Rönneburger Zehnten jährlich lediglich zehn Reichstaler (in etwa der Jahreslohn einer Köchin) zu. Hinzu kamen Erträge der Salzförderung der Lüneburger Saline, die aber durch die Kriegsfolgen im Laufe des 17. Jahrhunderts rapide abnahmen. So bat die Domina Anna Magdalena von Jettebrock 1639 Herzog Friedrich, von den dem Kloster auferlegten Kriegskontributionen abzusehen, da man sonst „die eußerste noth leiden“ würde. Da dieser sich nicht erweichen ließ, musste das Kloster 1645 zur Bezahlung der Kriegssteuern eine Kapitalanleihe über 60 Reichstaler beim Walsroder Bürger Lütke Stakenschneider aufnehmen.
Wappen der Familie von Jettebrock bzw. Jettebruch: Anna Magdalena von Jettebrock hatte als Domina bis zu ihrem Tod 1656 das Kloster 25 Jahre lang umsichtig geleitet (Barbara von Hövel / Klosterkammer).
Weitere Schwierigkeiten bereitete der Erhalt der Klostergebäude. Die bisherigen Geldmittel dafür stammten aus den Einnahmen der nun nicht mehr vorhandenen Güter. Zwar stellte der fürstliche Amtmann notwendige Baumaterialien zur Verfügung; Instandhaltungsleistungen für die weitläufigen alten Gebäude mussten jedoch auf eigene Rechnung vorgenommen werden. 1644 kam es wegen dringend notwendiger Baumaßnahmen zu einer Auseinandersetzung zwischen Herzog und Domina, deren Bitte, über die versprochenen Baumaterialien hinaus dem Kloster „im arbeitßlohn in etwaß zu hülffe zu kommen“, er abschlug. Drei Jahre später verlangte Herzog Friedrich die Aufnahme einer zusätzlichen Konventualin, was seitens der Domina unter Berufung auf die geringen Einkünfte und die Baufälligkeit der Wohnungen zurückgewiesen wurde. Aus diesen Gründen war bereits die Anzahl der Konventsmitglieder von 32 auf elf reduziert worden.
Auf dem 1654 veröffentlichten Stich Walsrodes von Matthäus Merian ist die zentrale Pfarrkirche gut zu erkennen. Davor befinden sich Klosterchor (mit hellem Dach) und Klostergebäude (links). Rechts neben der Kirche steht das Haus der Domina, das durch seine markante Fassade auffällt (Wikipedia).
Friedrich IV., Herzog zu Braunschweig und Lüneburg (1574-1648), auf einem Gemälde von etwa 1640. Sein Verhältnis zur Domina Anna Magdalena von Jettebrock war geprägt von einigen Streitigkeiten (Wikipedia).
Derartige Nöte beeinflussten allerdings nicht das weiterhin rege geistliche Leben: Im 17. Jahrhundert bestimmten Morgen- und Abendgebet den Tagesablauf, Wochenanfangs- und Endgebet den Lauf der Woche. Die Vesper (Gottesdienst am frühen Abend) und die Mette (mitternächtlicher oder frühmorgendlicher Gottesdienst vor einem hohen kirchlichen Fest) begleiteten verschiedene Gesänge. An den auf Neujahr und Michaelis (29. September) folgenden Sonnabenden wie am Osterfest versammelten sich die Konventualinnen vor einem Feuer, um danach zur Mette auf den Chor zu gehen.
Aus einem in Kriegszeiten durch die Erkenntnis der Endlichkeit des Lebens erwachenden Bewusstsein zur Dokumentation wie zum Erhalt dieser Gebräuche für die Nachwelt heraus entstand ein gedrucktes, 1649 von der Domina Anna Magdalena von Jettebrock herausgegebenes Andachtsbuch. Neben Gebeten in hochdeutscher Sprache auf 17 beidseitig bedruckten Seiten finden sich auf den Vor- und Nachsatzblättern der sechs noch erhaltenen Bücher handgeschriebene Eintragungen der Konventsmitglieder in Form von Gebeten und Chorgesängen, teilweise verfasst in niederdeutscher Sprache. Sie machen das Werk, das 1995 als Nachdruck in der Schriftenreihe des Heidemuseums Walsrode erschien, so einzigartig. Die Gemeinschaftsleistung von Konvent und Domina ist auch insofern bemerkenswert, als damals die klösterliche Andachtsliteratur ausschließlich durch Kauf oder über das Konsistorium (Behörde, durch die der Landesherr sein Kirchenregiment ausübte) an die Konvente gelangte. Wie sehr das kleine Buch den Bedürfnissen der Konventualinnen entsprach, beweist dessen über ein Jahrhundert lang anhaltende Verwendung.
Das 1649 von der Domina Anna Magdalena von Jettebrock herausgegebene Andachtsbuch enthält neben einer Sammlung gedruckter Gebete zusätzliche handschriftliche Aufzeichnungen von Chorgesängen und Gebeten, was ihm einen besonderen Wert verleiht (Archiv Kloster Walsrode).
Das Gebetbuch zeugt aber ebenso von einer über 100 Jahre nach Einführung der Reformation fest im evangelischen Glauben stehenden Walsroder Klostervorsteherin, die zudem praktische Fähigkeiten besaß und gewillt war, die noch verbliebenen Freiheiten des Konventslebens zu verteidigen.